Kraftomnibus 131
Lebenslauf des MAN Midi NM 222 »Max« Nr. 131
Die Dessauer DVG benötigt kleine Busse
Mitte der 1990er Jahre sanken in Dessau die Fahrgastzahlen, vor allem auf den Regional-Buslinien 121 (Hinsdorf), 122 (Fraßdorf) und 123 (Vockerode). Aber auch die Linien in die östlichen Vororte (B nach Mildensee und G nach Waldersee) waren vor allem in der sogenannten Schwachlastzeit nicht gut besucht. Um hier mit der Fahrzeuggröße entsprechend reagieren zu können, wurden im Jahre 1996 drei Midi-Busse vom Hersteller MAN/Göppel angeschafft. Die Niederflurfahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen DE-V 130, DE-V 131 und DE-V 149 wurden am 3. Dezember 1996 zugelassen und fortan auf die Überlandlinien und am Abend auf die B und G geschickt. Ganz in weiß und mit einem 220-PS starken Motor wurden sie von einigen Fahrern geliebt und von einigen nicht gemocht. Nach kurzer Zeit stand auch ein Spitzname für die drei fest: "Würfelzucker" - da sie fast quaderförmig und eben weiß waren. Dieser Name und die Kurzform "Würfel" hat sich bis heute gehalten.1997 gab es ein weiteres Einsatzgebiet: Die neu eingeführte Citylinie. Diese verkehrte werktags zwischen Hauptbahnhof, Rathaus und Dessau Nord und wurde so durch Straßen geschickt, wo ein normaler 12-Meter-Linienbus steckengeblieben wäre. Mit weiteren Fahrplanwechseln in den Folgejahren (auch im Zusammenhang mit der Straßenbahnerweiterung West) wurde das Einsatzgebiet der Würfelzucker eingeschränkt. Die Überlandlinien fielen spätestens 2002 weg, im Abendverkehr wurden die Busse aber weiter auf der neuen Nachtlinie N6 eingesetzt.
Zwei Würfelzucker gehen zum Omnibusbetrieb Müller in Roßlau
Mit der Abgabe der Spät-Leistungen an Taxiunternehmen standen die drei Würfel nun mehr auf dem Hof, als das sie auf Strecke waren. So verkaufte man im Dezember 2004 die 131 an den Omnibusbetrieb Müller in Roßlau, welcher dort als AZE-E 884 zugelassen wurde. Im Oktober 2006 folgte ihm die 149, die dort als AZE-E 567 lief. Die beiden Midibusse kamen dort vor allem auf den Coswiger Umlandlinien zum Einsatz, später dann auch auf den zur Stadtlinie 21 bis 25 umgewandelten ehemaligen Überlandlinien um Roßlau herum.Die bei der DVG verbliebene 130 wurde für kleine Gruppen auch im Schülerverkehr eingesetzt. Erst 2009, mit der Einführung von Nacht-Ringlinien, fungierte der Würfelzucker als Reservefahrzeug für die vier Mercedes Sprinter. Es dauerte aber nicht lange, da erhielt das Fahrzeug einen festen Umlauf auf den Linien 10/12 und N3, später N5. Hier war einfach das Fahrgastaufkommen zu hoch für die Sprinter.
Nach 18 Einsatzjahren und noch nicht mal 300.000 Kilometer auf dem Tacho wurde die 130 im September 2015 wegen eines Dauerschadens an der elektrischen Einspritzpumpe ausgemustert. Der Midi soll jetzt irgendwo in Bulgarien seine Runden drehen.
Die Nahverkehrsfreunde nehmen sich den Midi-Bussen an
Mit einer Neustrukturierung im Wittenberger Busverkehr im Januar 2015 schied der Würfel 149 bei Müller aus dem Liniendienst aus. Er fungierte fortan als Ersatzteilspender für seinen Bruder 131. Dieser wurde wiederrum im Juli 2017 abgestellt, als im Dessau-Roßlauer Stadtverkehr eine Netzumstellung stattfand, das einen Einsatz des kleinen Busses nicht mehr rechtfertigte.So kam es nun, dass die Nahverkehrsfreunde, seit 2015 immer wieder im Kontakt mit dem Omnibusbetrieb Müller, Interesse am Kauf der beiden Würfelzucker bekundeten. So traf man sich im November 2017 zu einem Besichtigungs- und Probefahrtstermin. Der Werkstattmeister führte uns zu den beiden Midi-Bussen. Abgemeldet, aber TÜV-fähig standen sie in der Abstellhalle. Nachdem uns demonstriert wurde, dass beide noch anspringen, konnten wir es natürlich nicht lassen, beide mal über den Müller-Hof Probe zu fahren. Bis auf Kleinigkeiten sind sie in Ordnung. Natürlich wird sich die Außenhaut verändern (original: weiß) und auch im Inneren wird einiges passieren, es sind fast alle Sitzpolster zu erneuern.
Nach kurzen Verhandlungen mit Müller und Absprachen im Verein wurde der Kauf der beiden Busse im Dezember perfekt gemacht. Nach drei Raten gingen die Würfelzucker im April 2018 in den Vereinsbesitz über. Nun musste auch alles schnell gehen: Mit der Vergabe von Subunternehmer-Leistungen im Dessau-Roßlauer Stadtverkehr an die Vetter GmbH meldete der Omnibusbetrieb Müller Insolvenz an. So waren wir gezwungen, noch im Mai die Überführung zu organisieren. Am 23. Mai 2018 ging es also mit roten Kennzeichen im Gepäck für die 131 und 149 zu unserem Stützpunkt in Oranienbaum. Vom Müller-Werkstattmeister gab es noch ein paar Ersatzteile in die 149 gelegt. Ein letztes Mal verließ um 12:30 Uhr ein Würfel den Müller-Hof. Das wir aufgrund der schwachen Batterie nochmals in Dessau zum Erliegen kommen, wusste dato noch keiner. Zum Glück gab es schnelle Hilfe vom Autohaus Moll, dessen Servicewagen uns noch bis zur Halle in Oranienbaum begleitete.
Nach Begutachtung der beiden Busse mussten wir feststellen, dass die 149 leider durch einen Rahmenbruch nicht aufzuarbeiten war. Letztendlich brachte es uns den glücklichen Umstand, ein Lager und später Ersatzteilspender für die 131 zu haben.
Im Sommer 2018 wurde neben den Themenfahrten nur sporadisch an der 131 gearbeitet. Es erfolgten zuerst der Einbau der "richtigen" und damit großen Zielanzeigen sowie die Entklebung der Müller-Wellen und Beschriftungen. Außerdem konnten mit dem Erwerb zweier neuer Batterien die älteren Modelle ausgesondert werden.
Nach längerer Pause konnten dann im Januar 2019 Karosseriearbeiten am Würfel 131 durchgeführt werden. Im März folgte der Ausbau von Sitzgestellen in der 149. Diese sollen an eine Sattlerei gegeben werden, um dann in die 131 eingebaut zu werden. Im Juli 2019 ging es dann endlich an die Außenhaut der 131. Nach Abschleifen und Abkleben machten wir uns mit der Rolle an den Bus und machten ihn wieder original: weiß.
Nun sollte im Winter 2019/2020 eigentlich die Erneuerung eines Lenkungsdämpfers und der Spurstange erfolgen. Im Februar 2020 waren wir mit der 131 zum Dessauer Karnevalsumzug dabei, um die Bevölkerung neugierig zu machen. Doch die Covid19-Pandemie machte einen Strich durch die Rechnung. In einem Midi-Bus mit 22 Sitzplätzen Abstand zu halten ist einfach nicht möglich. So wurde das Projekt Doppeldecker 3046 vorangetrieben und dem Würfelzucker erst einmal nur gelegentliche Bewegungsfahrten ermöglicht. Mal sehen, was die Zukunft bringt. (Denn so wirklich historisch wird der Midi erst 2026.)