Kraftomnibus 1643
Lebenslauf des Mercedes Benz O305 »Friedrich« Nr. 1643
Die Berliner Jahre
Am 15. Februar 1983 wurde der Mercedes Benz O305 mit der Nummer 1643 bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) zugelassen. Das Fahrzeug, dass auf die interne Bezeichnung E2H 83 hört, wurde dem Betriebshof Zehlendorf zugeteilt und kam dort mit sechs baugleichen Brüdern zum Einsatz. Mit einem Fahrplanwechsel im Herbst 1989 wurde der Wagen auf den Betriebshof Müllerstraße in Wedding umgesetzt, im Herbst 1993 ging die Reise weiter auf den Hof Indira-Gandhi-Straße im Osten der Stadt. Ein kurzes Intermezzo gab es im Folgejahr in Britz, danach ging der Bus wieder zurück zur Indira-Gandhi-Straße.Im Herbst 1997 wurde der Wagen zusammen mit 1642 und 1644 für eine BVG-Abo-Kampagne mit Totalwerbung versehen und kam seither als rollendes Servicecenter zum Einsatz. Schon Ende 2000 endete diese Nutzung wieder und die Busse gingen wieder in den Linien-, eher Schülerdienst über.
1643 wird zum Spiegelbus
Im Sommer 2001 wurde die 1643 zusammen mit drei baugleichen Fahrzeugen der Künstlerin Gisela Weimann für ein rollendes Opernprojekt zur Verfügung gestellt. Diese lies die Wagen 1642, 1643, 1644 und 1959 mit Spiegelflächen innen und außen versehen, um so den musikalischen Darbietungen eine visuelle Verstärkung zu geben. Bis zum August 2004 fanden nur noch wenige sporadische Veranstaltungen mit den Fahrzeugen statt.Als im Jahre 2009 der Betriebshof Usedomer Straße, wo die Fahrzeuge untergebracht waren, geräumt werden musste, wurden die vier Busse der Arbeitsgemeinschaft Traditionsbus Berlin übergeben, die die Wagen von Anfang an als Ersatzteilspender nutzte, da es bereits baugleiche Vertreter der O305-Reihe gab.
Ein Berliner Stern für Anhalt
Als Dirk und Niklas noch ohne Vereinsgedanken im Sommer 2015 zu »150 Jahre Straßenbahn« nach Berlin fuhren, wurde vorher eine Runde auf der Buslinie 218 gedreht. Von der Idee angetan, einen historischen Omnibus auf Linie einzusetzen und soetwas auch in der Heimat umzusetzen, recherchierten wir im Internet. Auch was die ATB so grundsätzlich macht. Auf deren Internetseite stießen wir dann auf das Verkaufangebot der »Spiegelbusse«. Kurzerhand wurde ein Besichtigungstermin für den Bus Nummer 1643 ausgemacht und am 15. August war es dann soweit. Wieder in Berlin angekommen ging es nach Haselhorst, zum Stützpunkt der ATB. Hier stand nun neben vielen anderen historischen Bussen unser hässliches Entlein. Eingepackt in Folien, damit während der Fahrt andere Verkehrsteilnehmer nicht von den Spiegeln geblendet oder irritiert werden. Nach der Probefahrt und einigen Fachgesprächen stand dann fest: Bus ist reserviert und wir mussten nun nach Sponsoren suchen. Und vorher noch schnell einen Verein gründen.Das war alles leichter als gedacht. Der Verein wurde noch Ende 2015 ins Leben gerufen. Doch die Formalitäten und die Sponsorensuche zogen sich in die Länge. Einige Dessauer Traditionsunternehmen sagten uns mit Standardfloskeln ab oder antworteten erst gar nicht. Einziges Unternehmen, welches uns Unterstützung zusagte, war das Mercedes-Autohaus Moll aus Oranienbaum und Wittenberg. Nach der Themenfahrten-Saison 2016 sagte uns das Autohaus im Oktober dann die komplette Finanzierung des Fahrzeuges zu. Nun konnte es endlich losgehen!
Am 19. November ging es mit sieben Arbeitswilligen nach Berlin, Öl mit entsprechenden Filtern und Spachtel im Gepäck. Nach einer kleinen Probefahrt nach Spandau Hakenfelde (Endpunkt der letzten West-Berliner Straßenbahnlinie 55) ging es wieder auf den ATB-Hof, um am Fahrzeug endlich die Spiegel zu entfernen. Mit großer Vorsicht wurde gearbeitet, um Lack und Fensterscheiben nicht unnötig zu beschädigen. Innerhalb von zwei Stunden war diese Arbeit erledigt. Außerdem wurde der Bus von zwei unserer Mitstreiter technisch begutachtet. Einige Kleinigkeiten sollten noch in Berlin behoben werden, der Rest sollte unter Beobachtung bleiben und gegebenenfalls in der neuen Heimat erneuert werden.
Zwischen den Jahren passierte leider nicht viel, sodass erst am 30. Januar 2017 mit einem Anruf des Autohauses der Startschuss erteilt wurde. Am 11. Februar war es dann soweit - 1643 konnte von ihrer alten Heimat ins Anhaltische überführt werden. Nach unserer Ankunft gegen 12:45 Uhr auf dem ATB-Hof in Spandau sackten wir noch einige Ersatzteile ein, während die Chefin des Autohauses Moll die Formalitäten klärte. Um 14:30 Uhr ging die Reise los. Doch schon nach wenigen Metern das erste Mal Warnblink und rechts ranfahren: Die Hupe hatte sich aktiviert und wollte partou nicht aus gehen. Um nicht lange suchen zu müssen, wurde die Hupe kurzerhand abgeklemmt, der Sache gehen wir am Zielort nach. Vielleicht wollte sich die 1643 auch einfach nur von ihrem Heimatort gebührend verabschieden.
Über die B2 ging es von Berlin-Spandau über Potsdam, Treuenbrietzen und der Lutherstadt Wittenberg nach Oranienbaum. Mit gemütlichen 60-70 km/h fuhren wir über die Landstraßen in fast 4 Stunden.
Um Punkt 18 Uhr erreichten wir das Autohaus Moll, Standort Oranienbaum, wo der Bus in die sogenannte "Bremser-Halle" untergestellt wurde. Die Geschäftsführerin des Autohauses empfing uns gebührend mit Sekt, mit dem wir auf den Beginn unserer Busprojekts in unserer Heimat anstoßen konnten.
Ab Februar standen dann fast jedes Wochenende Arbeitseinsätze an unserem Stern an. Wichtigstes Ziel war die Entfernung der Klebereste der Spiegel und anschließend eine Lackauffrischung oder gar Lackierung. Auch innen fanden Reinigungsarbeiten statt, die Sitzpolster wurden zum Beispiel durch das Autohaus aufbereitet.
Anfang März konnten wir endlich wieder ungehindert durch alle Scheiben blicken. An der Außenhaut war leider der Kleber sehr hartnäckig, sodass uns eine teilweise Neulackierung nicht erspart blieb. Teilweise? Ja, das Autohaus brachte als Allein-Sponsor eine Werbung am Fahrzeug an, sodass viele Flächen unter Werbefolie verschwanden.
Außerdem wurden Linien- und Zielfilme eingebaut. Von der 1 bis zur 999 können wir nun alle Linien bedienen. Aus Berlin erhielten wir einen 1985er Film vom Hof Lichterfelde. Ob und in welcher Form wir einen "Dessauer Film" einarbeiten, war zu diesem Zeitpunkt noch in Planung. Mittlerweile wird sich mit Steckschildern beholfen oder mit den Zielen Sonderfahrt oder S Anhalter Bahnhof.
Nach weiteren Arbeitseinsätzen im April und Mai 2017 waren wir nun zum 1. Juni 2017 an unserem ersten Ziel angekommen: Wir haben einen zugelassenen und einsatzbereiten historischen Omnibus! Voerst mit Saisonkennzeichen bis Oktober konnten wir nun Themen- und Sonderfahrten unabhängig von anderen Busunternehmen oder den historischen Bahnen der Dessauer Verkehrsgesellschaft anbieten.
Was noch gemacht werden musste war die lackmäßige Aufarbeitung von Front und Heck, was dann im Juli 2017 umgesetzt wurde. Außerdem wurde die Beschriftung erneuert und am Heck unsere Kontaktdaten angebracht, falls einer beim Hinterherfahren doch lieber mal mit uns mitfahren möchte.
Verschiedenste Einsätze, seien es unsere Themenfahrten, aber auch Hochzeiten, Geburstage oder die klassische Stadtrundfahrt: Immer in der Sommersaison ist unser »Friedrich«, wie er seit Februar 2018 heißt, durch Dessau und Umgebung unterwegs. Betriebsausflüge des Autohauses brachten den Bus auch mal nach Leipzig, Beelitz-Heilstätten und Potsdam. Im Oktober 2019 gab es sogar ein Intermezzo in Berlin: zur Traditionsfahrt auf der Linie 17E und 86 durfte unsere 1643 ihre Runden drehen.